In einer Branche, die sich massiv im Wandel befindet, nicht nur durch politische und regulatorische Vorgaben, sondern auch durch gesellschaftlichen Druck, ist die Unternehmenssicherung von essentieller Wichtigkeit. Das gilt grundsätzlich für jede Branche, aber insbesondere für die Energiebranche, die durch disruptive Ereignisse und der Notwendigkeit der Versorgungssicherheit für den Wohlstand eines Landes verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang müssen sich Energieversorger, durch ihre jahrzehntelang gewachsenen Strukturen, in Zukunft immer wieder neu erfinden und neue innovative Produkte und Dienstleistungen für Kunden schaffen. Die klassischen Ansätze des Business Developments in Unternehmen bringen nicht die Innovationsleistung, die Startups an den Tag legen. Hier müssen radikal neue Herangehensweisen bei Energieversorgern implementiert werden. Das Lean Startup-Konzept verspricht solch ein Potenzial zu besitzen und auf jede Branche und Idee anwenden zu können. Nachfolgend wird beschrieben, wie wir die Lean Startup-Methode bei einem regionalen Energieversorger für ein Energiemonitoring angewendet haben.
Die Lean Startup-Idee fußt ursprünglich auf dem Gedankengut des Lean Managements bzw. Lean Productions Systems (vgl. Kammel, A., 2018, S. 115). Grundidee hier ist die Vermeidung von Verschwendung und die Etablierung von schlanken sowie effizienten Prozessen/Hierarchien. Der Lean Startup-Ansatz folgt einem ähnlichen Prinzip. Die Lean Startup-Methodik kann sowohl bei einer Unternehmensgründung wie auch einem Produkt-Launch angewendet werden, unabhängig von der Branche. Bei Startups geht meist die Gründung mit dem Launch eines Produktes oder einer Dienstleistung einher. Aus diesem Grund wird im Folgenden auch nur noch auf Produkte referenziert. Ziel beim Lean Startup ist die Produkteinführung mit limitierten Ressourcen insbesondere Geld, Marktzugang und -kenntnissen sowie auch Kompetenzen. Lange Vorplanungen und strategische Entscheidungen sind nicht im Fokus, sondern vielmehr „learning-by-doing“, so dass die Idee frühzeitig im Markt präsent ist (vgl. Ries, E., 2014, S. 15).
Durch die Erstellung eines frühen Prototypens, der nur Kernfunktionalität umfasst oder besser gesagt eines MVP (Minimal Viable Product), kann ein Unternehmen sich mit einem Produkt schneller als andere am Markt platzieren und im Prozess lernen. Ein MVP umfasst meist nur ca. 20% der Produktfeatures/-funktionalitäten, die grob 80% der Nutzer abfragen. Darum bringen diese Unternehmen in regelmäßigen Abständen neue Releases von ihrem Produkt auf dem Markt. Diese Releases beinhalten nach und nach immer mehr Funktionen und werden immer ausgereifter. Das Unternehmen lernt mehr und mehr bei jeder Iterationsstufe/Feedbackschleife, wie in untenstehender Abbildung dargestellt (vgl. Ries, E., 2014, S. 74). Entsprechend der Abbildung lernt das Unternehmen durch jeden Iterationsschritt hinzu. Ein MVP ist für Early Adopters gedacht. Diese Zielgruppe fungiert sozusagen als Testgruppe und gibt erstes Feedback. Diese Personen sind auf Kernfunktionen fokussiert und verschmerzen den einen oder anderen Fehler im Produkt. Das Unternehmen erhält somit sehr frühzeitig Feedback über den grundsätzlichen Mehrwert und die Notwendigkeit eines Produktes. Gleichzeitig fungiert diese Gruppe als Multiplikator für das Produkt im Freundeskreis und über die sozialen Medien.
Unternehmen sind bestrebt gegen globale Konkurrenz, idealerweise mittel- bis langfristig, wettbewerbsfähig zu sein. Die Realität sieht jedoch anders aus. Hier sind Unternehmen mehr und mehr damit beschäftigt sich kurzfristige Wettbewerbsvorteile zu sichern, um weiterhin am Markt bestehen zu können. Damals wie heute ist von zentraler Wichtigkeit eine kurze “time to market” zu besitzen (vgl. Reichwald, Ralf – Marktnahe Produktion, 2013, S. 6). Dieses Motto müssen sich vor allem neue Unternehmen (Startups) zum Leitgedanken machen. Etablierte und insbesondere große Unternehmen beherrschen aufgrund ihrer Größe und damit verbundenen Trägheit diese Herangehensweise oft nur rudimentär. Oftmals lähmen interne Prozesse etablierte Unternehmen, ihnen fehlt es meist nicht an Ideen oder Budget, sondern eher an Dynamik und Flexibilität, ihre neuen Ideen schnell in den Markt zu bringen. Dabei die richtige Zielgruppe zu adressieren, ist sowohl für etablierte als auch für neue Unternehmen eine der größten Herausforderungen. Dabei spielt ein passgenaues Leistungsangebot eine Rolle, für welches Unternehmen Kenntnisse über den Markt, Kunden und deren Bedürfnisse benötigen. Diesen Bedarf müssen neue Ideen und daraus generierte neue Produkte zwingend erfüllen. Doch wie können Unternehmen, unabhängig von Größe und Budget, diese Herausforderungen angehen? Einen Ansatz bietet das Lean Startup-Konzept von Eric Ries (vgl. Eric Ries – Lean Startup, 2014, S. 25).
In diesem Zusammenhang wird in diesem Case der Fokus auf regionale Energieversorger gelegt, deren traditionales Geschäftsmodell, was primär aus Verkauf von Energie besteht, nicht mehr in der Breite funktioniert wie noch vor der Energiemarktliberalisierung 1998 (vgl. Europäische Union (1998): EU-Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt für das novellierte Energiewirtschaftsgesetz des Jahres 1998). Des Weiteren ist bei einer Vielzahl von regionalen Energieversogern die klassische Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen langwierig und kompliziert. Hier müssen oftmals etablierte Strukturen und bürokratische Hürden umgangen werden, um überhaupt neue Ideen in die Unternehmenslandschaft einzubringen. Innovationen bei einem Energieversorger erfolgreich zu platzieren, ist ein Aspekt der Nachhaltigkeit für den Fortbestand. Leider sind Energieversorger oft nur auf den ersten Blick innovativ. Dort existieren die grundlegenden Strukturen für eine Innovationskultur meist nicht. Neben neuen und zusätzlichen Konkurrenten, ist ebenfalls die Digitalisierung für Energieversorger von wachsender Wichtigkeit. Nicht nur, dass die Digitalisierung den Unternehmen neue Chancen bietet, es sind meist auch Anforderungen der Kunden, unabhängig ob die Zielgruppe aus dem gewerblichen oder privaten Bereich kommt. Nachfolgend wird die agile Geschäftsmodellentwicklung mit dem Lean Startup-Konzept für regionale Energieversorger im B2B-Bereich vorgestellt.
Selbstverständlich muss der Kunde auf einfache Weise die Möglichkeit haben, dem Unternehmen Feedback zukommen zu lassen. Kanäle dafür können Like/Dislike Buttons, Social Media, Chats oder E-Mails sein. Ein direkter persönlicher Kontakt wie zum Beispiel dem Betrieb von Ladenlokalen oder telefonischem Feedback wird aufgrund der zu hohen Kosten selten angewandt. In manchen Fällen ist auch eine Incentivierung hilfreich oder gar notwendig. Incentivierungen können Lob oder Sichtbarkeit auf Social Media-Plattformen oder in entsprechenden Communities sein, Wettbewerbe, der vorzeitige oder vergünstigte Zugang zum nächsten Release oder sogar das zur Verfügung stellen des Produktes als kostenloses Probeexemplar. Hier sind noch viele weitere Incentivierungsvarianten denkbar, die durchaus ein spannendes Feld des Customer Engagements widerspiegeln.
Eins ist sicher: Diversifikation ist eine Schlüsselstrategie, um auf schwankende Absätze in einem Markt oder durch Kunden (z.B. saisonale Schwankungen) zu reagieren. Besonders wenn es einem Markt schlecht geht oder regulatorische Vorgaben aufgestellt werden, können so diversifizierte Unternehmen schnell und flexibel darauf reagieren. Nachfolgend werden unterschiedliche Zielgruppen als Diversifikationsmerkmal beschrieben. B2B-Kunden besitzen ein anderes Anforderungsprofil als B2C-Kunden. Des Weiteren sind im B2B-Bereich in der Regel höhere Margen möglich, was durch individuellere Leistungen zu erklären ist. Der B2C-Markt zeichnet sich zudem als ein Massenmarkt mit teils eher geringen Margen aus. Hier ist es wichtig, Produkte anzubieten, die individualisiert sind, aber sich aus Standardkomponenten zusammensetzen lassen. Ein sogenannter modularer Baukasten bildet eine Lösung dieses Problems. Deutsche Unternehmen sind immer stärker im internationalen Wettbewerb. Somit sind nicht nur Personalkosten von zentraler Wichtigkeit, sondern zunehmend auch Energiekosten und der Digitalisierungsfortschritt. Neben anderen adressiert Industrie 4.0 eben diese Aspekte.
Aktuell interessante Produkte im Energiesektor für B2C-Kunden sind Smart Home-Anwendungen, E-Mobilitätslösungen und Systeme mit Photovoltaikanlagen inkl. Speicher. Allerdings gibt es bei diesen Produkten viel Konkurrenz durch andere Unternehmen aber insbesondere in letzter Zeit durch Startups, die den Markt drängen. Ein regionaler Energieversorger kann hier nur durch Kooperationen Wettbewerbsvorteile erzielen. Ein aktuell und auch zukünftig stark wachsendes Produktesegment für den B2B-Markt ist der Themenbereich von Industrie 4.0, darunter fallen Sensorik, Aktorik, IoT (Internet of Things), Automatisierung und Digitalisierung. Hier kann ein regionaler Energieversorger als Partner für Unternehmen auftreten und eigene Lösungen im Bereich IoT anbieten. Technologien der Zukunft, um das Potenzial von Industrie 4.0 zu heben, sind stark Hardware (Sensoren, Aktoren, Datenübertragungstechnologien etc.) und Software (Plattformen, Apps etc.) getrieben. Die Wahl der richtigen Komponenten ist für Anwender schwierig, da entweder das Wissen über das Produktangebot fehlt, die Anwendbarkeit im eigenen Unternehmen unklar ist oder die Konfiguration der einzelnen Bausteine nicht bekannt ist. Für Datenübertragungstechnologien stehen zum Beispiel ZWave, Zigbee, LoRaWan, WLAN, LemonBeat oder Bluetooth zur Auswahl, um nur ein paar zu nennen. Kabelgebundene Lösungen erweisen sich oft als zu aufwändig und zu kostenintensiv. Diese wichtige Komponente der Konnektivität ist für die Vernetzung von Sensoren und später auch Aktoren notwendig, um stabile, störungsresistente und reaktionsschnelle Verbindungen zu garantieren. Häufig kommt von der IT-Abteilung zusätzlich die Vorgabe, die Systeme von der vorhandenen IT-Infrastruktur aus Sicherheitsgründen zu trennen. Maßgeblich ist hier die Netzwerktechnologie zu nennen. Große Bandbreiten sind in einem ersten Schritt nicht erforderlich. Wichtigste Aspekte sind hier Reaktionsschnelligkeit und Reichweite, so dass Anlagen schnell und zuverlässig angesteuert werden können. Dies ist für schnelle Produktionsprozesse und bei Notfallsituationen zwingend erforderlich. Eine weitere Herausforderung für moderne, regionale Energieversorger im B2B-Geschäft ist die Identifikation von neuen Geschäftsmodellen und neuen Incentivierungen für den Vertrieb. Zukünftig darf nicht mehr der Verkauf von Energie „belohnt“ werden, sondern z.B. die Ersparnis. Dieses neue Verhaltensmuster in ein traditionelles Unternehmen zu etablieren, ist eine langwierige und herausfordernde Aufgabe. Zielführender ist die (Aus-)Gründung eines Unternehmens, um eine neue, frische Kultur zu generieren. Kunden fragen nach Lösungen, die über die reine Lieferung von Energie hinaus geht, sogenannte „E+“-Lösungen sind die Zukunft. Hier können noch attraktive Margen generiert werden.
Im Nachfolgenden wird die Entwicklung und die Implementierung eines Energiemonitoringsystems für regionale Energieversorger vorgestellt. Die klassische Herangehensweise würde eine Recherche über mögliche geeignete Produkte vorausschicken, die wahrscheinlich so viele Ergebnisse liefert, dass eine Evaluierung nur schwer möglich ist. Jedoch wurden durch Kundenbefragungen das enorme Potenzial und die Notwendigkeit eines Energiemonitorings sichtbar, um ebenfalls dort aktiv zu werden. Anschließend wird ein klassisches Projekt mit Meilensteinen und Verantwortlichkeit aufgesetzt und mit Personen besetzt, die zurzeit verfügbar sind. In dem nachfolgend beschriebenen Vorgehen wurde von diesem traditionellen Ablauf abgesehen und Projekte bei unterschiedlichen Regionalversorgern mit agilen Methoden unterstützt. Nachdem die grobe Richtung für ein neues Produkt (Vertrieb eines Energiemonitoringsystems) definiert wurde und klassische Projektmanagementansätze in diesem Kontext wenig erfolgversprechend waren, wurde über die Lean Startup-Methodik das weitere Vorgehen festgelegt. Entsprechend der Methodik wurden iterativer Feedbackschleifen durchgeführt und ein MVP erstellt. Um die Lean Startup-Methodik nachhaltig zu implementieren, wurde die Scrum-Methodik angewendet und lieferte den Handlungsrahmen. Entsprechend des Scrum-Guides wurden:
Am Anfang wurden Entwicklungsteams über interne Ausschreibungen, ohne Vorgaben für Alter, Ausbildungsstand oder Position im Unternehmen, gesucht. Das Team sollte idealerweise aus Programmierern, (Wirtschafts-)ingenieuren sowie Marketing und Vertrieb zusammengesetzt sein. Consistency wurde als externer Berater für das agile Projektmanagement beauftragt und hat die Entwicklung des Monitoringsystems sowie die Initiierung des Kulturwandels begleitet. Eine Vielzahl von Aufgaben wurden in ersten Workshops definiert und im Team gemeinsam priorisiert. Darunter fielen u.a. der Funktionsumfang der ersten Versionen, das Programmieren der Plattform, Technologie-Scouting für mögliche Anbieter von Hardware-Lösungen, Zielgruppenansprache, Vertriebsmodelle und Usability-Aspekte. Die Aufgaben wurden im sog. Product Backlog eingepflegt und das Entwicklerteam hat entschieden welche Aufgaben im nächsten Sprint bearbeitet wurden. Das Product Backlog kann als ein Aufgabenspeicher verstanden werden und das Sprint Backlog als ein Aufgaben-Speicher für den nächsten 2-wöchenlichen Sprint. Jede Aufgabe im Sprint Backlog sollte am Ende des Sprints ein Inkrement, ein brauchbares und lauffähiges Teil-/Teilprodukt hervorbringen. Zur Erfüllung der Kundenanforderungen wurden diese in regelmäßige Stakeholder-Treffen nach dem ersten Sprint eingebunden. So haben alle Beteiligten frühzeitig einen Austausch gestartet und Fortschritte sowie Missverständnisse aufgeklärt. Nach und nach entwickelte das Entwicklerteam eigene Ideen zur Weiterentwicklung des Produktes, welche in weiteren Sprints und Reviews mit Stakeholdern vorgestellt, verfeinert und teilweise auch ausgeführt wurden. Die ersten Funktionen, die in der Plattform umgesetzt wurden, war die einfache Einbindungen von Sensoren. Durch diesen Ansatz wurde die initiale Kopplung der Sensoren an die Plattform, das Authentifizieren, erprobt und erste Messwerte zurück an das Gateway gespielt. Auch Hardwarekomponenten wurden über die Projektlaufzeit mehrfach ausgetauscht, bis die optimale Lösung gefunden wurde.
Vorweg muss gesagt werden, dass es keine universelle Umsetzungs-/Implementierungsstrategie gibt. Rahmenbedingungen, individuelle Anforderungen und Budget müssen für jeden Anwender betrachtet werden, um anschließend gemeinsame Lösungen zu identifizieren und umzusetzen. Energieversorger erhalten regelmäßig Anfragen über die Möglichkeit der Energieoptimierung. Neben den klassischen Angeboten zur Energieeinsparung, wie LED Beleuchtung und Bewegungsmelder sowie Geräte und Anlagen, die nicht unmittelbar benötigt werden, komplett auszuschalten und nicht in den Ruhezustand zu versetzen, sind zukünftig innovativere Ansätze erforderlich. Erster Anknüpfungspunkt für ein Energiemonitoring ist die Schaffung von Transparenz. Den Energieverbrauch einzelner Anlagen oder Produktionsschritte sichtbar zu machen, ist für Unternehmen bereits ein signifikanter Mehrwert. Unternehmen haben größtenteils nur sehr große energetische Bilanzhüllen, vornehmlich die Gebäudegrenzen. Sie wissen in der Regel sehr genau was an elektrischer Energie pro Jahr abgenommen wird, aber wo die Energie verbraucht wird, darüber gibt es bestenfalls Vermutungen oder Schätzungen. Hier helfen die anlagen-/gerätespezifischen Sensoren, die über Funktechnologie in ein zentrales Gateway eingebunden sind. Das lokale Gateway wird in den Räumlichkeiten des Unternehmens installiert und auf einem Dashboard werden die gemessenen Werte grafisch angezeigt. Die Sensoren können neben der Energieaufnahme auch die Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit und Schallpegel aufnehmen. Um allen Sicherheitsaspekten gerecht zu werden, erfolgt der Datentransfer zwischen Sensoren und lokalem Gateway verschlüsselt und zwischen Gateway und Cloud über eine gesicherte VPN-Verbindung (Virtual Private Network).
Durch die Diversifikation auf unterschiedliche Branchen ändern sich auch die Anwendungsfälle sowie die Mehrwerte für ein Energiemonitoring. Der regionale Energieversorger kann neben dem Verkauf von Produkten und Nutzungslizenzen auch Wissen über die spezifische Branche gewinnen. Somit ist es ihm möglich bessere, passgenauere Produkte für Kunden zu entwickeln, was bereits einen Mehrwert darstellt. Der modulare Baukasten stellt dabei einen entscheidenden Lösungsansatz dar. Durch diese Herangehensweise wird die Partnerschaft gestärkt. Es verhindert die Abwanderungsrate von Kunden zu anderen Energieversorgern.
In den nachfolgenden Abschnitten werden die unterschiedlichen Branchen und Anwendungsfälle anhand von folgenden Eckpunkten näher beleuchtet:
In diesem Case steht das produzierende Gewerbe im Fokus, nichtsdestotrotz werden hier auch exemplarisch andere Anwendungsfälle kurz angerissen, um das Potenzial eines Energiemonitorings darzulegen.
Rahmenbedingungen für Anwender sind immer wieder, dass kein Eingriff in vorhandene IT-Infrastruktur getätigt, der laufende Betrieb oder die laufende Produktion durch die Installation nur minimal beeinträchtigt wird sowie ein positiver Business Case nach ca. 3 Jahren. Diese Rahmenbedingungen können i.d.R. durch frühzeitigen Austausch mit den entsprechenden Abteilungen eingehalten werden.
Das produzierende Gewerbe umfasst in diesem Zusammenhang alle Unternehmen, die in ihren Gebäuden und Hallen physikalische Produkte herstellen. Selbstverständlich können diese Produkte ebenfalls digitale Komponenten enthalten. Kunden der Unternehmen bekommen hier jedoch ein anfassbares Produkt geliefert/verkauft.
Die Ersparnis in Bezug auf Energie kann, je nach Verbrauch und Kundenauslastung, fünfstellig sein. Des Weiteren können die hohen Verbraucher im Unternehmen identifiziert werden und Maßnahmen ergriffen werden, um eine Lösung dafür zu finden. In manchen Fällen sind meist nur die Betriebsparameter falsch eingestellt, in anderen Fällen ist die Maschine einfach veraltet und eine Neuinvestition sollte in Erwägung gezogen werden. In wieder anderen Fällen ist aber auch der Verbrauch innerhalb der normalen Parameter und der Maschinenverbrauch entspricht den Verbrauchsanforderungen konkurrierender Produkte/Anlagen. Allerdings kann so durch diese Erkenntnis wiederrum die Auslastung der Maschine so verändert werden, dass multiple Leerläufe und Standby-Zeiten, die über den Tag verteilt sind, gebündelt werden. Dieses Vorgehen erhöht die Taktung der Maschine und vermeidet oder verringert Leerlaufzeiten. In den Zeitintervallen, an denen die Maschine nicht verwendet wurde, konnte sie komplett ausgeschaltet werden.
Zum Thema Energieflexibilität wurde auch im Jahre 2018 eine DIN SPEC veröffentlicht, die sich dem Thema in aller Breite annimmt (DIN SPEC 91366., 2018). Die DIN SPEC umfasst Aspekte für weitere Anwendungen, das Erstellen einer Verbrauchsprognose, die Erkennung von Flexibilität in der Produktion und das Anbieten der eigenen Flexibilität auf einer Plattform.
Dienstleistungsunternehmen sind in diesem Zusammenhang alle Unternehmungen, die Ihren Kunden eine Dienstleistung anbieten, die hauptsächlich durch die Einbringung von Personal oder die Nutzung von digitalen Hilfsmitteln (Computern, Laptops, Server etc.) erstellt oder erbracht wird. Zum Beispiel fallen in dieser Kategorie Beratungsfirmen, wie größere Steuerberatungsfirmen und juristische Dienstleistungen und Softwarefirmen. Des Weiteren muss nicht noch differenziert werden, wer der Eigentümer des Gebäudes ist. In der Regel hat ein Mieter nur indirekt einen Mehrwert durch ein Energiemonitoring. Allerdings sind Betreiber (Facility Management Unternehmen) durchaus interessiert an einem Monitoring. Zum Beispiel können zusätzliche Daten aus dem System über eine zentrale Leitwarte generiert und die Fahrt von Technikern oder anderem Personal kann reduziert werden. Im Folgenden werden Unternehmen für Facility Management näher betrachtet. Des Weiteren können die Anlagentechnik, wie zum Beispiel Klimatechnik, Aufzuganlagen, Lichttechnik und Warmwasseraufbereitung, über einen zentralen Leitstand beobachtet werden.
Die Implementierung von Sensoren für die elektrische Leistungsmessung von Aufzügen und an der Klimatechnik kann direkt im zentralen Technikraum des Gebäudes vorgenommen werden. Das Messen von Temperatur und Schallpegel erfolgt direkt an den Einheiten und wird wie bereits beschrieben über Funk ans Gateway angebunden. Die entsprechenden Sensoren für die einzelne Raumbelegung können an der Decke angebracht werden. So werden Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Schallpegel gemessen. Durch diese Daten ist eine Steuerung des Lichts und der Klimatechnik möglich.
Büros, die tagsüber nicht belegt sind oder Büros in denen Licht und Klimatisierung nach Dienstschluss eingeschaltet sind, können ausgeschaltet werden. Dies spart dem Mieter Geld und der Gebäudebetreiber kann so eine zusätzliche Dienstleistung dem Mieter anbieten. Besonders interessant für den Facility Manager ist die Sicherstellung von einem ordnungsgemäßen Betrieb der Aufzug- und Klimatechnik. In der Regel kündigen sich Schäden an diesen Einheiten durch einen stetig steigenden Geräuschpegel an. Aufgrund des Messens des Schallpegel und dem Überschreiten von Schallgrenzwerten, können Techniker frühzeitig über einen Schaden informiert oder es können kurz bevorstehende Wartungsintervalle vorgezogen werden.
In Zukunft ist auch das Monitoring von kritischen Temperaturen denkbar. So können frühzeitig Anlagenkomponenten überwacht werden, die u.a. auch nachts betrieben werden. Mögliche Fehlfunktionen und Ausfälle werden in diesem Zusammenhang erkannt und es besteht die Möglichkeit Maßnahmen zu ergreifen, die eine Ausweitung des Problems verhindert.
Unter den Begriff Hotels werden ebenfalls Pensionen oder auch Hostels zusammengefasst. Also Unternehmen, die als Dienstleistung Übernachtungen aus einer gewerblichen Sicht anbieten. Hotels mit einem ausgeprägten zusätzlichen Angebot, wie Restaurant, Schwimmbad, Whirlpool und Sauna sind in diesem Zusammenhang besonders interessant.
Durch die unterschiedlichen Nutzer von Energie in den verschiedenen Bereichen wie Hotelzimmer Küche, Restaurant, Wellness (Pool, Sauna etc.), in die man nicht uneingeschränkten Einblick oder Zugriff hat, ist ein Monitoring für Energie durchaus interessant. Besonders die großen Verbraucher wie die Summe aller Zimmer, die Küche und der Wellness-Bereich weisen signifikante Einsparpotenziale auf. Insbesondere die Klimatechnik und die Warmwasseraufbereitung stellen große Verbraucher dar, wobei diese Verbraucher in Hinsicht auf Monitoring in der Regel bereits ausgestattet sind. Jedoch können durch eine intelligente Steuerung von diesen Aggregaten signifikante Einsparungen erzielt werden. Insbesondere wenn zentral die Klimatechnik nicht belegte Zimmer nicht heizt oder kühlt und entsprechende Zimmer erst kurz vor Ankunft eines Gastes klimatisiert werden. Genau diese Themen wurden der Geschäftsleitung vorgeschlagen und anschließend mit den entsprechenden Modulen umgesetzt. Auch hier kann der Energieversorger durch den Verkauf von Beratungsdienstleistungen, Komponenten und Nutzungslizenzen Umsatz generieren.
Durch die Implementierung in die Haustechnik (Smart Building-Technik) erstreckt sich die Umsetzung über einen längeren Zeitraum. Auch hier ist die Funktechnik im Vorteil und bietet eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit neue Komponenten einzubinden.
Hierunter fallen Unternehmen wie Supermärkte, Discounter, Autohäuser, Baumärkte und Möbeleinrichtungshäuser und weitere Unternehmen des klassischen Einzelhandels. Also in diesem Fall Unternehmen, die Produkte zum Verkauf/Vermietung anbieten. Auch wenn es sich um überschaubare Gebäude handelt ist ein Energiemonitoring durchaus interessant, um Kenntnis über einzelne große Verbraucher zu erhalten, wie z.B. Kühltheken, Drucklufterzeugung oder Beleuchtung. Hier können Standby-Zeiten, Gerätezustand und untypische Verbrauchsmuster erkannt werden. In diesem Zusammenhang können Mitarbeiter Wartungen, Reinigung oder Reparaturen optimal in den betrieblichen Ablauf eingliedern. Zentrales Augenmerk liegt meist auf Kühlgeräten und Beleuchtung. Somit werden die entsprechend Kühlgeräte mit Sensoren ausgestattet. Für die Beleuchtung sind aggregierte Messwerte von Interesse und aus diesem Grund wird der Verbrauch i.d.R. raumweise erfasst.
Durch diese Maßnahme können Kühlgeräte identifiziert werden, die eine zu hohe Leistungsaufnahme, verglichen zu den baugleichen Geräten, vorweisen. Der Energieversorger hat die entsprechenden Module aus dem Baukasten genutzt und die Sensoren durch eine Partnerfirma installieren lassen. Der Verkauf der Komponenten und die Nutzung der Cloud-Lösung generierten Umsatz und die Supermarktkette bezieht weiterhin Strom vom Energieversorger. Denkbar ist auch die Integration der eigenen Solaranlagen und die Flexibilisierung von Kühlleistungen. So können zum Beispiel Kühlaggregate vor Sonnenuntergang und Verkaufsschluss noch einmal Kühlen, um so in der Nacht möglichst wenig an Energie zu verbrauchen.
Die zuvor genannten Anwendungsfälle sind keine abschließende Liste. Selbstverständlich muss immer das Kosten/Nutzenverhältnis berücksichtigt werden oder der generierte Mehrwert, wie z.B. proaktive Wartung oder Ausfallsicherung. So können weitere Anwendungsfälle für ein Energiemonitoring Krankenhäuser, Betreiber von Serverzentren, Kühlhäusern oder Gewächshäusern sein, allerdings wird auf diese nicht näher eingegangen.
Die agile Geschäftsmodellentwicklung nach dem Prinzip des Lean Startups bietet Unternehmen eine einzigarte Möglichkeit, sich gegenüber der Konkurrenz zu differenzieren und weitere, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Die zentralen Erfolgsfaktoren bei der Entwicklung von neuen Produkten sind Präzision, Schnelligkeit und Ressourcenschonung. Diese können durch den Lean Startup-Ansatz adressiert werden. Das Energiemonitoring ist eine Dienstleistung, welche Unternehmen dazu befähigt den Verbrauch zu messen, um erste Kenntnis daraus abzuleiten, wo sich gegebenenfalls „Stromfresser“ im Unternehmen befinden. Dabei ist es erstmal unerheblich in welcher Branche das Unternehmen tätig ist. Selbstverständlich ist die Erkenntnis für produzierende Unternehmen relevanter als für Buchhaltungsunternehmen, aufgrund des unterschiedlichen Verbrauchs. Der Energieversorger bildet die (Strom-)Schnittstelle zum Kunden und besitzt somit auch den direkten Kontakt zum Kunden. Ziel darf es in Zukunft nicht mehr sein, dem Kunden möglichst viel Strom zu verkaufen. Der Energieversorger muss den Kunden überzeugen einen Mehrwert durch das Energiemonitoring zu erhalten. Dies kann vielfältig sein, besonders da dieses Thema in vielen Unternehmen noch gar nicht betrachtet wurde, außer vielleicht durch die Installation von Energiesparlampen und Bewegungsmeldern für entsprechende Lampen. Jedoch kann das Monitoring weitaus mehr erreichen, wie zum Beispiel die Beobachtung der Gesamtanlage, das Auffinden von Schwachstellen in der Produktion, ein Verschleißmonitoring von Anlagen und Maschinen durchführen und somit den Wartungsbedarf analysieren. Daraus können wiederrum dynamische Wartungsintervalle erzeugt werden, die Maschinenausfälle verhindern. Durch die Implementierung von Sensoren in eine entsprechende IoT-Plattform kann eine langfristige Partnerschaft generiert werden, die Vertrauen erzeugt. Durch dieses tiefgehende Anlagenwissen ist der Energieversorger in einer Position, die sich nicht ohne erheblichen Mehraufwand substituieren lässt. So können eine vertrauensvolle Partnerschaft und Zusammenarbeit entstehen. Der Mehrwert ist individuell für jeden Kunden einzeln zu identifizieren und zu erschließen. Eine Blaupause, die man auf alle Kunden anwenden kann, wird es nicht geben. Dafür unterscheiden sich viele Parameter zu stark. Allerdings muss auch erwähnt werden, dass die Einführung und der Betrieb von einem Energiemonitoringsystem nicht über Nacht geschieht und es durchaus ein Prozess sein kann, der sich über mehrere Monate erstreckt. Der Ansatz eines modularen Baukastens hat sich als erfolgsversprechendes Konzept erwiesen. Doch Energiemonitoring/-management ist ein kontinuierlicher Prozess. Um valide Zusammenhänge zu erkennen, bedarf es einer längeren Beobachtungszeit.
In einem weiteren Schritt und als Ausblick sind Aktorik sowie Auswertung der Daten von Interesse, um das volle Potenzial von Industrie 4.0 oder besser gesagt Energie 4.0 zu heben. Die gemessenen Werte müssen mit einer entsprechenden Aktorik versehen werden. Nur so können die gemessen Sensorwerte durch fundierte Logarithmen oder intelligente Rechner analysiert werden und Schlüsse daraus gezogen werden. Die Aktorik setzt die Erkenntnisse in entsprechende Maßnahmen zur Steuerung der Anlagentechnik um. In zukünftigen Anwendungen ist zudem der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Auswertung und Optimierung der Anlage denkbar.
Kammel, Andreas (2018): Lean Management: Konzept — Kritische Analyse – Praktische Lösungsansätze. Springer Verlag.
Leopold, K. (2017): Kanban in der Praxis. Vom Teamfokus zur Wertschöpfung. München. Hanser.
Reichwald, Ralf (2013): Marktnahe Produktion. Springer Verlag.
Ries, Eric (2014): The lean startup: how today’s entrepreneurs use continuous innovation to create radically successful businesses.Crown Publishing. ISBN 9780307887894. OCLC 693809631.